Innovationen für die Armen
Samuel Neuenschwander
Dipl. Masch.-Ing. ETH, Unternehmer
In was für einer Welt würden wir leben, wenn innovative Ideen Menschen mit Geld und Macht dazu bewegen könnten, sich für Projekte zu engagieren, die geprägt sind von Menschenfreundlichkeit und vom bewussten Umgang mit der Mitwelt?
«DIE WIRTSCHAFT ZU DEN MENSCHEN BRINGEN»
«Friedensarbeit heißt für mich unter anderem auch, den Menschen in den weniger privilegierten Gebieten der Erde Arbeit und damit ein menschenwürdiges Auskommen zu verschaffen, ohne die gleichen Fehler, zum Beispiel bezüglich Umweltschutz, zu machen, die in der Vergangenheit gemacht wurden und leider auch gegenwärtig noch oft gemacht werden», sagt Samuel Neuenschwander. Er produziert und vertreibt unter der Marke «Kessel» in Mexiko Warmwasseraufberei-tungsanlagen. «Das ist zwar nicht in ganz Mexiko ein Bedürfnis. In den höheren Lagen (Mexico City usw.) jedoch sind die Menschen für Hygienezwecke darauf angewiesen», erklärt er.
Das Spannende an Samuel Neuenschwander ist nicht, was er macht, sondern wie er es macht. Das beginnt schon beim Produkt an sich: «Unsere Warmwasseraufbereitungsanlage ist sehr leicht. Der Installateur kann sie ‹unter den Arm nehmen› und zum Installationsplatz tragen», erklärt er. «Zudem ist die vollständig installierte Anlage mit umgerechnet rund 400 Franken so kostengünstig, dass sie auch für ärmere Familien erschwinglich und durch die Einsparungen bei Strom oder Gas innert sechs bis achtzehn Monaten amortisierbar ist. Sie hat keine Verschleißteile und benötigt deshalb auch keine Wartung.» Viel wichtiger aber: «Wir produzieren vor Ort mit Werkstoffen aus der Region. Damit entstehen nur sehr marginale Logistikkosten.» Neuenschwander rechnet vor: «Wenn wir das gleiche Produkt industriell zum Beispiel in China produzieren und weltweit vertreiben würden, dann würde es durch die Logistikkosten stark verteuert, es entstünde mehr Umweltbelastung, und die Wertschöpfung bliebe nicht im Land der Endverbraucher. Alles völlig unnötige Nachteile!»
«Nicht geschaffen für ein 08/15-Leben»
Samuel Neuenschwander hat an der ETH ein Studium in Maschinenbau abgeschlossen. Nach dem Studium arbeitete er «in einem guten Job mit sehr attraktivem Gehalt». Er arbeitete im Zuge dieser Anstellung ein Jahr in den USA, ging dann nach Mexiko und wieder zurück in die Vereinigten Staaten. «Da fühlte ich mich in den USA plötzlich unglücklich, in Mexiko hatte es mir besser gefallen», erzählt er. «Es kam dazu, dass ich mir ein ‹08/15-Leben› immer weniger vorstellen konnte», schmunzelt er. Auch private Schwierigkeiten kamen dazu. «Ich habe mich dann von meiner Lebenspartnerin getrennt und zwei Wochen später meinen Job gekündigt.» Zurück in der Schweiz, besann er sich auf einen Freund, der ihm eine selbst konstruierte, günstige Solarheizung zeigte. «Im Stile von ‹Hinterhof-Bastlern› haben wir in gemeinsamer Arbeit diese Anlage weiterentwickelt», erklärt Neuenschwander. «Gleichzeitig habe ich aber erkannt, dass diese Innovation in Zentraleuropa nicht sehr viel bringt. Dazu kam die Überzeugung, dass wirtschaftliche Expansion dezentral geschehen sollte: Man muss die Dinge dort produzieren, wo sie gebraucht werden. Es macht keinen Sinn, zuerst die Arbeitssuchenden dorthin zu verfrachten, wo die Wirtschaft boomt, und die Produkte dieser Wirtschaft anschließend wieder zu den Leuten zu karren, welche sie benötigen.» So begann er in Mexiko, in einem Dorf ‹in der Pampa›, in einem ehemaligen Hühnerstall von 350 m2 Größe mit der Produktion. Der Absatz seiner Anlagen wird hauptsächlich durch Mundpropaganda sichergestellt. Seine Mitarbeiter, die alle aus der Region stammen, fahren aber auch mit einem Lastwagen über Land und verkaufen und installieren die Anlagen direkt vor Ort.
Bewusst kein Patent
«Kessel» ist in Mexiko als Marke eingetragen. Patentieren lassen hat Neuenschwander sein Produkt jedoch ganz bewusst nicht. «Zum einen», sagt er, «käme es ja meiner Überzeugung entgegen, wenn die Idee überall auf der Welt kopiert würde. Wäre dies der Fall, könnten theoretisch zwei bis drei Milliarden Menschen davon profitieren.» Zum anderen sei es so, dass die Öl- und Gasindustrie natürlich keine besonders große Freude habe an Innovationen, welche die Menschen energieautark machen. «Es sind aus diesem Grund schon viel zu viele Patente von der Industrie aufgekauft und dann schubladisiert worden. Dieses Schicksal möchte ich meinem Produkt ersparen!»
Ein neuer Ansatz
Natürlich hat Samuel Neuenschwander Freude an seinem Erfolg, auch wenn er, wie er sagt, «davon nicht reich wird». Viel wichtiger ist ihm ein neuer Ansatz in der Wirtschaft. «Wir können es uns auf Dauer einfach nicht mehr leisten, durch die ausgeklügeltsten Marketingideen immer neue Bedürfnisse zu kreieren, um diese dann durch die Produktion in sogenannten ‹Billigländern› und mit einem riesigen logistischen Aufwand zu befriedigen. Unser Planet hat langfristig nur eine Überlebenschance, wenn wir beginnen, die Dinge dort zu produzieren, wo sie gebraucht werden, und zwar mit einheimischem Personal und mit Werkstoffen aus der Region.» Und die Frage dürfe auch nicht mehr lauten «Was kann ich mit möglichst hohem Gewinn produzieren und den Leuten andrehen?». Natürlich ist die Konstruktion des «Kessels» eindrücklich. Viel eindrücklicher als der Ingenieur aber ist der Mensch Samuel Neuenschwander. Ihm standen sämtliche Türen zu einer traditionellen Karriere und zu einem «schönen» und sorgenfreien Leben offen. Er hat darauf verzichtet, und er hat es nie bereut, sich für das Sinnstiftende statt für das Komfortable und Mainstreamfähige entschieden zu haben. «Den Menschen bewusst zu machen, dass es im Leben noch einen anderen Reichtum gibt als denjenigen, der sich in Komfort, Hab und Gut bemessen lässt, ist ein wichtiger ‹Nebeneffekt› meines Einsatzes für die Armen in Mexiko», sagt er. Das Leuchten in seinen Augen bestätigt, wie viel Freude und Glück dies für ihn bedeutet.