Friedensförderung
Oliver Rizzi Carlson
Vertreter von UNOY
(United Network of Young Peacebuilders) an der UNO
Wer keinen Krieg will, braucht eine Vision für den Frieden. Friede sollte deshalb schon früh erlernt werden. Zentral sind die Entwicklung von Mitgefühl und das Verständnis für die Notwendigkeit des Teilens und der Solidarität, wie auch eine neue Kultur im Umgang mit Konflikten.
«NESTBAU FÜR FRIEDENSTAUBEN»
«Die Jugend ist die Zukunft – aber noch wichtiger ist es, die Jugend in die Gegenwart einzubeziehen. Wenn wir eine friedlichere Zukunft für die Menschen auf dieser Erde gestalten wollen, müssen wir die Jugend dafür ausbilden!» Das ist, kurz zusammengefasst, die Philosophie von Oliver Rizzi Carlson. Er hat sein Leben seit seiner frühen Jugend ganz in den Dienst dieser Philosophie gestellt. Angespornt durch persönliche Erfahrungen, hat er damals begonnen, sich mit dem Thema Streit/Frieden auseinanderzusetzen. Seither widmet er seine ganze Kraft dem Aufbau von Strukturen, in denen junge Menschen Frieden lernen können. Zum Beispiel im Rahmen der Aktion «Nesting peace», die bildlich ausdrückt, worum es geht: «Wir wollen Nester bauen, in welchen sich Friedenstauben einnisten können!»
Lebendigkeit erfahren
«Es macht mich traurig, zu sehen, wie viele junge Menschen in Drogen, Gewalt usw. abdriften», sagt Oliver Rizzi Carlson. Diese jungen Menschen seien hilflos, sie wüssten nicht, was sie tun könnten, um Lebendigkeit zu erfahren. «Ich stelle bei jungen Menschen immer wieder einen großen Hunger nach Leben, nach Lebendigkeit, fest. Die Jugend ist zugänglich für die Friedensidee und begreift sehr schnell. Man müsste sie nur mehr unterstützen.» Das Wissen, wie man helfen könne, sei vorhanden, aber man habe es bis jetzt nur wenigen zugänglich gemacht. «Nun geht es um das Gestalten und den Aufbau niederschwelliger Strukturen, in denen man Friedenskultur lernen und leben kann.»
Was ist Frieden?
Bevor man sich mit Friedensausbildung befasse, müsse man sich über sein eigenes Bild von «Frieden» im Klaren sein. Frieden sei bekanntlich mehr als nur die «Abwesenheit von Krieg». «Frieden, so wie ich ihn verstehe, umfasst die Abwesenheit jeglicher (auch struktureller und kultureller) Gewalt. Das heißt auch, dass wir fähig sind, mit Andersartigkeit und Vielfalt umzugehen, ohne zu simplifizieren. Die große Mehrheit der Menschen ist es jedoch nicht gewohnt, mit Konflikten anders als mit Machtmitteln umzugehen. Die Strukturen in Firmen, Schulen, ja sogar in Demokratien und in unserer Gesellschaft überhaupt sind so angelegt, dass jede und jeder an ihrem oder seinem Platz die ihr oder ihm zur Verfügung stehende Macht ausüben muss, um einigermaßen komfortabel zu überleben.» Der Ausstieg aus diesem System und der Übergang in eine Friedenskultur sei das Schwierigste. «Es ist deshalb nicht nur wichtig zu erkennen, dass man die Menschen für den Frieden ausbilden muss. Ebenso wichtig ist es, zu erkennen, dass für diese Ausbildung geeignete Strukturen in genügender Zahl bereitzustellen sind.» Und dabei müsse immer darauf geachtet werden, dass diese Strukturen richtig gestaltet sind: «Welche Strukturen, in denen wir leben oder die wir uns erschaffen, unterstützen uns im Frieden?», sei die zentrale Frage. «Die Wichtigkeit solcher Strukturen beruht nicht nur auf der Notwendigkeit, Friedenslernprozesse durchzuführen, sondern auch auf dem Bedürfnis, die entstehenden Friedensfähigkeiten nachhaltig weiterzuentwickeln. Friedensinfrastrukturen haben sich um die Nachhaltigkeit der Prozesse von Friedenlernen zu kümmern, was Zeit braucht und nur mit einer dauerhaften Unterstützung möglich ist.» Es gebe ja heute schon mächtige Organisationen, die sich «den Weltfrieden» auf ihre Fahne geschrieben hätten, etwa die UNO. «Leider ist es aber so», hat Oliver Rizzi Carlson erkannt, «dass viele junge Menschen, die zum Beispiel mit der UNO in Kontakt kommen, den Glauben an die offiziellen Institutionen verlieren.» Im Rahmen seines Vertretermandates für die UNOY an der UNO nimmt Oliver Rizzi Carlson teil an den Sessionen des UNO-Menschenrechtsrates sowie an den ECOSOC-Konferenzen. «Ich nehme diese Treffen in UNO-Gremien als sehr formalistisch wahr», sagt er. «Und sie funktionieren eben auch immer noch nach dem Machtprinzip. Es ist nahezu unmöglich, Einfluss auf die Mächtigen dieser Welt zu nehmen, weil diese ihre Machtposition konsequent bis ins Letzte ausreizen.» Es sei jedenfalls wichtig, den Mächtigen eine neue Vision von Frieden und Dialog entgegenzustellen.
Den Frieden leben
«Etwas vom Wichtigsten an der Friedensausbildung und in der Friedensarbeit ist es, den Frieden auch selbst zu leben», ist Oliver Rizzi Carlson überzeugt. «UNOY oder GAMIP (Global Alliance for Ministries & Infrastructures for Peace, wo Oliver Rizzi Carlson ebenfalls involviert ist) pflegen auch gegen innen eine ausgeprägte Friedenskultur. Dabei können alle Beteiligten viel lernen, sie können die in der Friedenserziehung vermittelte Theorie immer wieder auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüfen und die Modelle, die entwickelt wurden, praktisch erproben.» Die TeilnehmerInnen an solchen Konferenzen seien immer wieder überwältigt: «Das ist wie in einer anderen Welt», höre man oft von ihnen. «Natürlich gibt es immer wieder auch Konflikte», räumt Oliver Rizzi Carlson ein. «Dann ist es besonders wichtig, die von uns vermittelten Konfliktlösungsstrategien im Format eins zu eins zu hundert Prozent durchzuspielen und die vorhandenen Friedensstrukturen zu nutzen.»
«Das Leben an sich ist spirituell»
In seiner Jugend war Oliver Rizzi Carlson eine Zeitlang sehr religiös, ging oft in die Kirche. «Dann habe ich festgestellt, dass auch die Kirche nicht nach einer Friedensmatrix lebt, sondern weitgehend in den althergebrachten Machtstrukturen verhaftet ist.» Heute pflegt er keine spirituelle Praxis im traditionellen Sinn. «Ich glaube, dass man Spiritualität nicht trennen kann von der realen Welt. Das Leben an sich ist spirituell.» Auf die Frage nach der Motivation für seinen unermüdlichen Einsatz für die Friedensförderung hat Oliver Rizzi Carlson keine präzise Antwort. «Ich weiß auch nicht genau, warum ich das alles gemacht habe und weiterhin mache. Mit ein Grund waren bestimmt meine Gewalt- und Konflikterfahrungen schon in früher Jugend. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass es wichtig und richtig ist, es zu tun!»
Oliver Rizzi Carlson ist zwar durch und durch ein «Friedensbewegter». Aber, und dies zeichnet ihn besonders aus, er ist auch ein überaus gewiefter und effizienter «Friedenstäter». Effizient vor allem deshalb, weil er die modernen Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten virtuos nutzt. «Uns stehen heute über das Internet Instrumente zur Verfügung, die frühere Generationen nicht hatten», sagt er. «Das Internet an sich ist ja nicht schlecht und nicht gut. Ausschlaggebend ist, was die Menschen damit tun. Es wäre geradezu fahrlässig, dessen Chancen nicht auch für die Friedensarbeit zu nutzen.»