Gemeinschaft

 
 
Kosha Anja Joubert
Präsidentin «Global Ecovillage Network»
 
Fotografie: Raul Surace

Fotografie: Raul Surace

 

Nach der Ausbildung starker Individuen zieht die Evolution uns nun in Richtung Verbundenheit. Wie können wir starke Einzelwesen sein und zugleich das Wohl der Menschheit als Ganzes nicht aus den Augen verlieren? Neue Formen des Zusammenlebens lassen Raum für Kreativität und fördern zugleich die kollektive Intelligenz.

 
 

«WENN DIE ZEIT REIF IST, WERDEN SICH DIE DINGE ÄNDERN»

Kosha Anja Joubert wuchs in Südafrika auf. Zur Zeit, in der noch die Apartheid herrschte, entschied sie sich, ihr Leben der authentischen Kommunikation zwischen Menschen zu widmen. Heute setzt sie sich als Präsidentin des «Global Ecovillage Network» auf internationaler Ebene für den Aufbau nachhaltiger Gemeinschaften im Rahmen von Ökodörfern ein. «Meine Mutter ist Deutsche. Mein Vater stammt aus einer südafrikanischen Burenfamilie – ursprünglich Hugenotten, die im 17. Jahrhundert ans Kap der Guten Hoffnung geflohen waren», erzählt sie.

 

Die Apartheid in Südafrika und deren Geschichte hat sie geprägt, obwohl sie selbst sich dessen zu jener Zeit natürlich noch kaum bewusst war. Aber mit den feinen «Antennen» eines Kindes nahm sie schnell wahr, dass in dem Land etwas ganz grundsätzlich nicht stimmte. «Da war eine Spannung unter den Menschen – ein Gefühl der Gefahr. In meinen Albträumen brach Feuer aus der Erde und verschluckte, was mir lieb und teuer war. Am Tag wuchs in mir das Bewusstsein um die Apartheid: Gewaltsam getrennte Welten in einem Land voller Schönheit», beschreibt sie ihre Empfindungen in ihrem Buch «Die Kraft der kollektiven Weisheit».

 
 
Wenn die Stimme der Frau lediglich in Privaträumen verhallt, geht es schief.
 
 

Sie studierte Linguistik und kulturelle Anthropologie, getrieben vom sehnlichen Wunsch, die interkulturelle Kommunikation zu erlernen und Gesprächsräume zu eröffnen für Menschen, die sich fremd sind. 1990 war sie Helferin bei der Organisation einer Frauenkonferenz namens «Malibongwe». Frauen aus Südafrika, von denen viele ins Ausland geflohen waren, konnten sich hier treffen mit dem Ziel, eine südafrikanische Frauenbewegung zu gründen und gemeinsame Strategien zu erarbeiten. Dies schien ihr sehr wichtig: «Zur Erarbeitung von tragfähigen Lösungen auf allen Gebieten ist immer die weibliche und die männliche Sicht wichtig. Wenn die Stimme der Frau lediglich in Privaträumen verhallt, geht es schief!»

 

Später, in der Rückschau, wurde ihr bewusst: «Es lohnt sich, gegen Unrecht und Missstände zu kämpfen. Auch wenn der Kampf lange aussichtslos scheint: Wenn die Zeit reif ist, werden sich die Dinge ändern.» Heute sieht sich Kosha Anja Joubert in ihrer Arbeit in einer ähnlichen Situation: «Es gibt ganz viele Zellen, etwa in der Friedensbewegung oder eben auch in unserem Netzwerk der Ökodörfer, wo wertvolle Arbeit geleistet wird. Man könnte trotzdem denken, dass diese nie eine Chance gegen die Übermacht des herrschenden Systems hätten. Aber Südafrika hat mir gezeigt: So fängt es an. Wenn es uns gelingt, beharrlich, authentisch und überzeugend unsere ‹globale Herzensvision› voranzubringen und Bewusstheitsförderung zu betreiben, dann wird es eines Tages genügend Menschen geben, deren Bewusstheit gegenüber den Problemen dieses Planeten groß genug ist, um den Wandel zu bewirken!»

 
 
Statt auf das Versagen von Wirtschaft und Politik zu starren, sah ich plötzlich überall die Kraft und den Mut der Menschen.
 
 

«Die Evolution zieht uns jetzt in Richtung Verbundenheit.» Dieser Gedanke ist Ausgangspunkt des Buches «Die Kraft der kollektiven Weisheit», in welchem Kosha Anja Joubert die Erfahrungen und Erkenntnisse zusammengefasst hat, welche sie bei vielen Gemeinschaftsprojekten auf der ganzen Welt gesammelt hat. «Ich reiste in die französischen Pyrenäen, nach Spanien, Gomera, Italien, England, Dänemark, Norwegen, Irland. Ich entdeckte ein Netzwerk, das mir bisher unsichtbar geblieben war. In den Medien, in der Schule, im Studium hatte ich nie davon gehört. Nun entfaltete es sich langsam und in erster Linie durch Mundpropaganda vor meinen staunenden Augen. Statt auf das Versagen von Wirtschaft und Politik zu starren, sah ich plötzlich überall die Kraft und den Mut der Menschen, die ihr Leben selber in die Hand nehmen und sich für das Wohl eines größeren Ganzen einsetzen. Der Weg meines persönlichen Engagements hatte in einem globalen Netzwerk lokal verankerter Projekte eine Heimat gefunden. Seitdem sind fast zwanzig Jahre vergangen. Die Vielfalt und Ganzheitlichkeit der weltweit entwickelten Lösungsstrategien sind beeindruckend», schreibt Joubert in einem Artikel in der deutschen Zeitschrift «Oya».

 
 
GEN ist überzeugt, dass die guten Absichten und die Kreativität der BürgerInnen sowie die Bereitschaft, einen Unterschied zu bewirken, die am stärksten vernachlässigten Ressourcen sind, über die wir verfügen.
 
 

In diesem Kontext befasste Joubert sich auch mit der notwendigen Diskussion um Führung im Rahmen gemeinschaftlicher Prozesse. Der indianische Älteste Manitonquat meint dazu: «Letztendlich bedeutet das Einsteigen in Leitung nichts anderes als die Übernahme von Verantwortung. Wenn es in einem Kreis keine Leitung gibt, bedeutet dies, dass letztendlich keiner die Verantwortung trägt.» Auch hier – so Kosha Anja Joubert – brauche es noch weitere Arbeit, um die Bedingungen integraler und gemeinschaftsfördernder Leitung zu erforschen und gesellschaftlich umzusetzen. Das Modell der Holarchie (geschichtete Ordnung) biete dafür einen ersten Ansatz jenseits von Befehlshierarchie und flacher Basisdemokratie.

 

 

DIE KRAFT DER KOLLEKTIVEN WEISHEIT

«Die Evolution zieht uns jetzt in Richtung Verbundenheit.» Dieser Gedanke ist Ausgangspunkt des Buches «Die Kraft der kollektiven Weisheit» von Kosha Anja Joubert und wird von Denkern wie Ken Wilber, Pierre Teilhard de Chardin, Thich Nhat Han, Peter Russel, Thomas Hübl, David Bohm, Paul Hawken und anderen untermauert. Einen Hintergrund dieser Sichtweise bietet auch das Modell der «Spiral Dynamics» von Clare W. Graves und Don Beck. Im Zentrum ihres Buches stehen die «Sieben Schritte zu kollektiver Weisheit». Kosha Anja Joubert hat sieben förderliche Bedingungen ihrer Entstehung herausgearbeitet: gemeinsame Ausrichtung, individuelle Autonomie, Vielfalt einladen, Nichtwissen zulassen, intime Verbundenheit, gemeinsame Praxis und Reflexion. Diese Mustersprache soll Gemeinschaften ermöglichen, nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache zu entdecken. Das dafür erforderliche Handwerkszeug bietet der anschließende Methodenteil, den es in dieser Art als Sammlung erfolgreichen und anwendbaren Gemeinschaftswissens vorher noch nirgends zu lesen gab. Es folgen konkrete Ausblicke in die gesellschaftlichen Bewegungen, in denen Ansätze kollektiver Weisheit wirksam sind.

Die Kraft der kollektiven Weisheit – Wie wir gemeinsam schaffen, was einer alleine nicht kann
ISBN 3-89901-354-9

 
 
 

GLOBAL ECOVILLAGE NETWORK

Das weltweite Ökodorf-Netzwerk (Global Ecovillage Network – GEN) wurde 1995 ins Leben gerufen, um die Schaffung und Erhaltung von menschlichen Siedlungen zu fördern, die ihre soziale und natürliche Umgebung nicht nur erhalten, sondern auch regenerieren. Ökodörfer sind Gemeinschaften mit einer lebendigen Sozialstruktur, äußerst vielfältig und dennoch verbunden durch gemeinsame ökologische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Werte und Ziele. Sie gründen auf den guten Absichten und der Kreativität der Bürger sowie deren Bereitschaft, einen Unterschied zu bewirken. Mittlerweile schlägt GEN eine innovative Brücke zwischen intentionalen Gemeinschaften (von denen einige den geringsten CO2 -Fußabdruck pro Kopf in den Industrienationen aufweisen) und einem Netzwerk von traditionellen Dörfern. Teil der Vision von GEN ist die Entstehung eines vielfältigen und gemeinsamen Pools an Wissen zu einem nachhaltigen Lebensstil.

  • GEN ist überzeugt, dass die am meisten vernachlässigten Ressourcen, über die wir verfügen, die guten Absichten und die Kreativität der Bürger sowie unsere Bereitschaft, einen Unterschied zu bewirken, sind.

  • GEN fördert die Bildung von Gemeinschaft und Solidarität als Kernelemente einer sich zu Widerstandsfähigkeit hin entwickelnden Gesellschaft.

  • GEN-Europe unterstützt die Entwicklung von nachhaltigen Siedlungen in Europa, Afrika und dem Mittleren Osten. Ein Ökodorf ist eine gewachsene Dorfgemeinschaft oder eine Lebensgemeinschaft, die mit einer gemeinsamen Absicht gegründet wurde. Ökodörfer werden gestaltet durch bewusste Mitwirkung all ihrer Bewohner. Ein Ökodorf trägt dazu bei, die umliegende Natur nicht nur zu schützen, sondern sogar zu regenerieren, und es verbessert die Lebensqualität der Menschen. Die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Wirtschaft, Soziales und Weltsicht – sind zu einem ganzheitlichen Ansatz integriert.

Die Kraft menschlicher Gemeinschaften, sich zusammenzuschließen und gemeinsam ihren Weg in die Zukunft zu gestalten, wird als wichtige Triebkraft für positiven Wandel gesehen. Die guten Absichten und die Kreativität der Bürger sowie ihre Bereitschaft, einen Unterschied zu machen, ist eine der am wenigsten genutzten Ressourcen, über die wir heute verfügen. Ecovillages sind ein Ergebnis von Bürgern, die ihren Worten Taten haben folgen lassen, indem sie ihren ökologischen Fußabdruck gemildert haben, während sie gleichzeitig ihr Empfinden für Zugehörigkeit und Sinnhaftigkeit erhöht haben. Ecovillages werden mit zunehmender Geschwindigkeit als Demonstrationsorte für gelebte Nachhaltigkeit und Inspirationsorte für eine breite Schicht von Menschen wahrgenommen. Ecovillage-Projekte zeigen, dass es im Rahmen unserer Möglichkeiten und unseres Wissens liegt, bewusst die Umwelt, in der wir leben, zu verbessern und zu stärken.

 

 
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