Gemeinwohl-Ökonomie

 
 
Christian Felber
Mag. phil., Entwickler des Wirtschaftsmodells
«Gemeinwohl - Ökonomie» 
 
Fotografie: Raul Surace

Fotografie: Raul Surace

 

Die Gemeinwohl-Ökonomie beruht auf denselben Grundwerten, die unsere Beziehungen gelingen lassen: Es gilt, Verantwortung zu übernehmen für seine Handlungen und für seinen Nächsten. Konkurrenzkampf und Gewinnstreben werden aufgegeben, Wertschätzung, Kooperation und Solidarität spannen einen Bogen in die Zukunft.

 
 

«DAS HERRSCHENDE WIRTSCHAFTSSYSTEM AUF DEN KOPF STELLEN»

«Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte in einem demokratischen, partizipativen und ergebnisoffenen Prozess ein Wirtschaftssystem entwickeln, in dem das Gemeinwohl an oberster Stelle steht.» Dieser Vision widmet Christian Felber seine ganze Schaffenskraft – und davon hat er eine gehörige Portion.

 

Felber ist ein gefragter und äußerst aktiver Vortragsredner. Nicht selten beginnt er seinen Auftritt mit einem Kopfstand, oder er streut diese Übung an geeigneter Stelle in seinen Vortrag ein. Das hat Symbolkraft in zweierlei Hinsicht: Zum einen möchte Felber mit seinem Modell der «Gemeinwohl-Ökonomie» nichts mehr und nichts weniger, als das herrschende Wirtschaftsmodell auf den Kopf stellen. Zum anderen lädt er damit sein Publikum ein, die Welt – und vor allem die Wirtschaft – doch einmal aus radikal veränderter Perspektive ins Auge zu fassen. Zehn Jahre lang arbeitete Felber als Ethiker auf der Wertebene und stellte dabei vieles fest, was seiner Wahrnehmung nach «falsch läuft». «Die Idee ‹Gemeinwohl-Ökonomie› war eigentlich ein Nebeneffekt dieser Tätigkeit», berichtet er. Der Impuls, aus einer Wertanalyse der Wirtschaftsordnung eine umsetzbare Alternative zu schaffen, kam von Unternehmern, die seine Bücher gelesen hatten. Diese hätten vorgeschlagen, die initiale Idee gemeinsam weiterzuentwickeln. Gemeinwohl-Ökonomie ist denn auch nicht einfach ein theoretisches Modell, sondern ein Zukunftsweg, den Theorie und Praxis in enger Verzahnung und Wechselwirkung gehen und dessen Ziel eine nachhaltige und zukunftstaugliche Wirtschaftsordnung ist.

 
 
Gemeinwohl ist verbunden mit der Menschenwürde,
dem höchsten aller Werte, von dem sich die Menschenrechte herleiten
 
 

Pionier sein

Was treibt Christian Felber und eine inzwischen stattliche Zahl von Mitarbeitenden an, sich selbstlos zu engagieren für eine «bessere Welt»? Christian Felber ist überzeugt, dass Menschen, die sich dafür entscheiden, sich zusammen mit Gleichgesinnten in einem sinnvollen Transformationsprozess zu engagieren, viel Kraft und Motivation erwachsen. «PionierIn des Wandels zu sein ist ein tief verwurzelter Wunsch der Menschen, die bei uns mitmachen.» Viele hätten erkannt, dass die Welt ein integrales Ganzes ist. «Wir Menschen sind ein Teil dieses Universums, untrennbar und schicksalshaft verbunden mit allen anderen dazugehörenden Teilen.»

 

Gemeinwohl

Praktisch alle hoch entwickelten Staaten hätten die Förderung des Gemeinwohls in irgendeiner Form in ihrer Verfassung festgeschrieben, sagt Christian Felber. Zum Beispiel die Schweiz in Artikel 2 Absatz 2 der Bundesverfassung: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.» Die Krux dabei sei, dass Begriffe wie «Gemeinsame Wohlfahrt» oder «Gemeinwohl» völlig unterschiedlich ausgelegt und nicht selten sogar pervertiert würden. Den Grund dafür sieht Felber darin, dass sich in der Ökonomie die wichtigsten Parameter völlig verschoben hätten. «Die verfassungsmäßige Koppelung der Wirtschaft an das Wohl der Gesellschaft bleibt auf der Strecke. Die Mehrung des Kapitals, das eigentlich als Mittel der Wirtschaft zur Erzeugung von Gemeinwohl dienen müsste, ist zum Zweck des Wirtschaftens geworden.» Wie wäre denn «Gemeinwohl» nach Ansicht von Christian Felber zu definieren? «Gemeinwohl ist verbunden mit der Menschenwürde, dem höchsten aller Werte, von dem sich die Menschenrechte herleiten. Es ist dann verwirklicht, wenn diese Rechte tatsächlich erfüllt sind, wenn die Grundbedürfnisse der Menschen gedeckt sind und alle die Möglichkeit haben, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten.»

 
 
Das Kapital, das eigentlich als Mittel oder Instrument der Wirtschaft zur Erzeugung des Gemeinwohls dienen müsste, ist zum Selbstzweck privatwirtschaftlichen Gewinnstrebens geworden
 
 

Geld

Wie eine alternative Geldordnung für eine faire Wirtschaft aussehen kann, hat Christian Felber in seinem neuen Buch «Geld. Die neuen Spielregeln», erschienen im März 2014, beschrieben. Dafür wurde er an der Frankfurter Buchmesse mit dem «getAbstract International Book Award 2014», dem renommiertesten internationalen Preis für Wirtschaftsliteratur, ausgezeichnet. «Geld ist ein Mittel zum Zweck. Es sollte uns dienen und uns das Leben erleichtern, doch davon sind wir weit entfernt», erklärt der Publizist und Universitätslehrer. In seinem Buch beschreibt er, wie wir über demokratische Prozesse zu einer neuen Geldordnung gelangen können. Konkrete Reformvorschläge für Geldschöpfung, Kreditvergabe und Bankenregulierung ergänzt Felber mit Anstößen zur Neuordnung des Steuersystems und der internationalen Währungsordnung. Dass seine Vorschläge zu einem ethischen Umgang mit Geld umsetzbar sind, beweist unter anderem die «Bank für Gemeinwohl», die sich auf seine Initiative hin in Österreich im Aufbau befindet.

 

Die Gemeinwohlbilanz

Die Gemeinwohlbilanz ist das «Herzstück» der Gemeinwohl-Ökonomie. Sie stellt den Menschen und alle Lebewesen sowie das Gelingen der Beziehungen zwischen ihnen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens. Sie überträgt die heute schon gültigen Beziehungs- und Verfassungswerte auf den Markt, indem sie die WirtschaftsakteurInnen dafür belohnt, dass sie sich human, wertschätzend, kooperativ, solidarisch, ökologisch und demokratisch verhalten und organisieren. Sie macht die Werte der Gesellschaft zu den Werten der Wirtschaft. Die Gemeinwohlbilanz misst unternehmerischen Erfolg in einer neuen Bedeutung. Die Wirtschaft soll dem Gemeinwohl dienen, und auf der Unternehmensebene kann das durch die «Bilanz» (ein umfassender Gemeinwohlbericht, der extern auditiert wird) belegt werden. Der finanzielle Gewinn ist weitgehend aussagelos in Bezug auf die eigentlichen Ziele des Wirtschaftens: Schaffung von Nutzwerten wie Bedürfnisbefriedigung, Sinnstiftung, Teilhabe aller, Mitbestimmung, Geschlechterdemokratie, ökologische Nachhaltigkeit, Lebensqualität. Der finanzielle Gewinn sagt nichts über die Mehrung des Gemeinwohls aus. Er kann steigen, wenn die Lieferantenpreise gedrückt werden, wenn MitarbeiterInnen trotz Gewinn entlassen, Steuern vermieden, Frauen diskriminiert werden oder wenn die Umwelt ausgebeutet wird. Der Finanzgewinn wird nur in Geld gemessen, und mit Geld lassen sich nur Tauschwerte messen, jedoch keine Nutzwerte – deren Verfügbarmachung und Verteilung doch der eigentliche Zweck des Wirtschaftens ist. Finanzgewinn ist in der Gemeinwohl-Ökonomie nur noch Mittel zum Zweck der Gemeinwohlmehrung. Finanzgewinn darf nicht mehr maximiert und nicht mehr um jeden Preis erhöht werden. Er muss dem eigentlichen Zweck als Mittel dienen. Mit der Gemeinwohlbilanz wird das gemessen, was wirklich zählt. Die Gemeinwohlmatrix «schneidet» mehrheitsfähige Grund- und Verfassungswerte – Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie – mit den Berührungsgruppen (Stakeholdern) des Unternehmens: Beschäftigte, Zulieferer, KundInnen, GeldgeberInnen, Souverän, zukünftige Generationen, Natur. Die an den Schnittstellen formulierten siebzehn Gemeinwohlindikatoren sollen eine Beurteilung von unternehmerischem Verhalten bzw. von dessen Beitrag zum Gemeinwohl ermöglichen. Unternehmen mit gutem Bilanzergebnis zahlen weniger Steuern, Zölle und Zinsen, und sie erhalten Vorrang bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. So werden ihre Produkte und Dienstleistungen billiger als die der rücksichtsloseren Konkurrenz, und die Marktwirtschaft wird eine «vollethische».


 

GEMEINWOHL-ÖKONOMIE

Gemeinwohl-Ökonomie bezeichnet ein Wirtschaftssystem, das auf gemeinwohl-fördernden Werten aufgebaut ist. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Veränderungshebel auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene – eine Brücke von Altem zu Neuem.

Auf wirtschaftlicher Ebene ist sie eine lebbare, konkret umsetzbare Alternative für Unternehmen verschiedener Größen und Rechtsformen. Der Zweck des Wirtschaftens und die Bewertung von Unternehmenserfolg werden anhand gemeinwohlorientierter Werte definiert.

Auf politischer Ebene will die Bewegung für eine Gemeinwohl-Ökonomie eine rechtliche Veränderung bewirken. Ziel des Engagements ist ein gutes Leben für alle Lebewesen und den Planeten, unterstützt durch ein gemeinwohlorientiertes Wirtschaftssystem. Menschenwürde, globale Fairness und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung sind dabei wesentliche Elemente.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Bewegung für eine Gemeinwohl-Ökonomie eine Initiative der Bewusstseinsbildung für Systemwandel, die auf dem gemeinsamen, wertschätzenden Tun möglichst vieler Menschen beruht. Die Bewegung gibt Hoffnung und Mut, und sie sucht die Vernetzung und Befruchtung mit anderen alternativen Initiativen.

Sie versteht sich als ergebnisoffener, partizipativer, lokal wachsender Prozess mit globaler Ausstrahlung.

 
 
 

ZUR PERSON

Geboren 1972 in Salzburg. Bis 1996 Studium von Romanischer Philologie/Spanisch (Hauptfach), Politikwissenschaft – Psychologie – Soziologie (Nebenfach) in Wien und Madrid. Mag. phil.

2000–2014 Mitbegründung und Aufbau von Attac Österreich, bis 2003 im Vorstand, bis April 2014 Sprecher. Seit 2004 zeitgenössischer Tänzer und Performer.

Aktuelle Bücher:

  • «50 Vorschläge für eine gerechtere Welt» (2006);

  • «Neue Werte für die Wirtschaft» (2008);

  • «Kooperation statt Konkurrenz» (2009);

  • «Die Gemeinwohl- Ökonomie» (2012);

  • «Retten wir den Euro» (2012);

  • «Geld. Die neuen Spielregeln» (März 2014)

 
 
 
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