Die Nöte der Asylsuchenden ebenso ernst nehmen wie die Ängste der Einheimischen
Autorin:
Cécile Cassini
«Es herrscht Krieg an den südlichen und östlichen Grenzen unseres Wohlstandsghettos, und jeder einzelne Flüchtling ist dessen Bote: Sie sind der Einbruch der Wirklichkeit in unser Bewusstsein.»
Navid Kermani
Die Vision – Vielfalt in der Einheit
Wir leben als Einheit von Menschen in dieser Welt. Die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte und Pflichten der einzelnen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger werden langfristig umgewandelt in ein Weltbürgertum mit für alle Menschen gültigen, gemeinsamen Menschenrechten. Wir respektieren, teilen und ehren diese Welt im Wissen um unsere Verbundenheit mit allen Lebewesen. Wir Menschen sind Bürgerinnen und Bürger der EINEN Welt.
Vom Konsum zu mehr Bewusstheit
Finden wir unser Glück im Kreativen, Emotionalen und Spirituellen, so können wir unseren Überhang an Konsum loslassen und damit dazu beitragen, dass alle Menschen über eine ausreichende materielle Grundlage verfügen. Spiritualität wird bezüglich Migration bewusst gefördert. Seit vielen Jahren findet am ersten Montag im Monat in Basel auf dem Marktplatz um 18 Uhr der Cercle de silence statt. Mitglieder der Integralen Politik und anderer Organisationen stehen für eine faire Flüchtlings- und Asylpolitik ein. Mit Plakat-Botschaften vor der Brust und am Rücken schweigen wir gemeinsam eine halbe Stunde. Ein eindrückliches Erlebnis – nach innen und aussen.
Vom Ich zum Wir
Jede und jeder Einzelne trägt dazu bei, eine Gemeinschaft zu bilden, die selbstverständlich alle Menschen als zugehörig einschliesst, unabhängig von Rasse, Hautfarbe und Herkunft.
Für die Arbeit mit den Asylsuchenden in Kaiseraugst wandten wir uns an die Kirchen, die uns mit Räumen, Mitarbeit und Spenden tatkräftig unterstützen. Dies nach dem Prinzip «Handeln aus Nächstenliebe, ohne zu missionieren». Das Bewusstsein zu pflegen, dass wir Menschen in einer grossen Einheit verbunden sind, führt zu Gelassenheit. Diese hilft bei den grossen interkulturellen Herausforderungen. Begegnung ist der Schlüssel! Ein Beispiel ist die erfolgreiche Ausstellung in den Räumen der reformierten Kirche mit Werken von zwei im lokalen Asylzentrum wohnhaften Malern und drei einheimischen Malerinnen. Die Bekanntheit der hiesigen Künstlerinnen, verbunden mit der faszinierenden Fremdheit der Gemälde der Maler aus Syrien und Irak, lockte bei der Vernissage über 80 Besuchende an. Es kam zu überaus spannenden Begegnungen.
Essen auf Rädern. Seit März 2017 fahren die Asylsuchenden mit Velo und Anhänger das Essen, das im Altersheim zubereitet wird, zu beeinträchtigten Menschen, die es zuhause geniessen. Die Herzlichkeit der Menschen aus anderen Kulturen gegenüber älteren, manchmal einsamen Menschen ist beeindruckend und sehr wohltuend. Auch die Einsätze beim Naturschutz oder im Werkhof schaffen Begegnungen und gegenseitigen Respekt.
Die ängstliche, misstrauische Haltung im Ort änderte sich mit der Zeit eindrucksvoll und gegenseitig.
Zu Beginn war unsere Arbeit durch Deutschstunden und Begegnungsanlässe geprägt. Seit 2019 hat der Bund die Sprach- und Integrationshilfe verdreifacht, sodass fast alle Geflüchteten in offiziellen Sprachkursen und guten Integrationsprogrammen sind. Das Schwergewicht liegt bei uns nun in den wöchentlichen Beratungen, die von Asylsuchenden aus dem ganzen Fricktal rege genutzt werden.
Wichtig ist inzwischen auch vermehrt die persönliche Begleitung, das Mentoring: Konversation, Aufgabenhilfe, medizinische oder soziale Unterstützung, Jobsuche und Hilfe zum Selbstständigwerden. Die über 20 Mentorinnen und Mentoren tauschen sich gegenseitig in monatlichen Zoom-Konferenzen aus. Nach wie vor gibt es die beliebten Deutschstunden mit Kinderbetreuung für die jungen Mütter oder die Deutschhilfe im Sprachmobil.
Tatkräftige Unterstützung
A. kam vor vier Jahren aus Afghanistan. Er ist ein fröhlicher junger Mann, der an allen Begegnungsanlässen und Deutschkursen teilnahm. Er war auch von Beginn an bei Essen auf Rädern dabei. Bald realisierten wir aber seine Sehbehinderung. Dank dem unermüdlichen Einsatz einer Familie, die ihn auch medizinisch begleitete, verhalfen ihm verschiedene Operationen zum besseren Sehen. Die Familie vermittelte ihm ebenfalls eine Klavierlehrerin, die ihm gratis Stunden gab, was ihm über die lange Wartezeit bis zum positiven Asylbescheid hinweghalf. Dank der Unterstützung seiner Mentoren-Familie hielt er die sich hinziehende Integrationsarbeit durch und erhielt schliesslich eine 40%-Festanstellung und eine zweite Stelle auf Abruf.
A. hat nun zwei Jobs, womit er genügend verdient, um mit einem Freund zusammen in einer Wohnung zu leben. Dies war nur möglich durch die regelmässige, beharrliche Hilfe beim Deutsch und bei der Suche nach dem geeigneten Weg, der den kulturellen Unterschieden Rechnung trägt. Es war eine riesige Arbeit und ein grosses Glück für beide Seiten. Der grösste Gewinn ist das gegenseitige Lernen, das für beide Seiten zu einer Horizonterweiterung führt. Alle sind gefordert in der Öffnung für eine neue Welt, die ein tieferes gegenseitiges Verständnis braucht.
Für die Asylarbeit in Kaiseraugst und Umgebung wurde die Website www.asyland.ch geschaffen, damit alle Informationen, Berichte und Organisationsmodalitäten für Geflüchtete, Beratende, Lehrende, Begleitende und Interessierte leicht abrufbar sind.
Vom Unrecht zum internationalen Gleichgewicht
Wir sitzen alle im selben Boot. Wir sind alle zu Verantwortung aufgerufen und aufgefordert, teilen zu lernen.
Wenn mit der Zeit die Fluchtgründe in den Herkunftsländern wegfallen, dann hätte der heutige Migrationsdruck die Chance für Veränderungen vor Ort mit sich gebracht. Die Not der Geflüchteten ist ein Hilferuf. Wir sind gefordert, genauer hinzusehen und vor Ort zu helfen.
Langsam gibt es Bewegungen, in der Aussenpolitik die Krisenländer gemäss den nachhaltigen Entwicklungszielen der Agenda 2030, SDG (Sustainable Development Goals), vermehrt zu unterstützen. Auf den eidgenössischen Webseiten zeigen sich dazu erfreuliche, längst notwendige Entwicklungen.
Die Plattform für Friedensförderung KOFF
befasst sich seit einem Jahr intensiv mit dem Thema Frieden und Migration und erarbeitet wichtige Erkenntnisse und Strategien dazu, wie mit geeigneter Hilfe und Mediationsarbeit Migration vermindert werden kann.
Die Konzernverantwortungsinitiative geht grundlegende Probleme an und fordert uns zu der uns möglichen politischen und wirtschaftlichen Verantwortung auf. Sie ist zielführend. Die Schweiz könnte hier beispielhaft wirken.
Wir alle haben von den Ländern der Dritten Welt profitiert und wissen das heute. Deshalb ist unser Beitrag in dem uns möglichen Rahmen wichtig und notwendig.